TEXTIL WIRTSCHAFT. 40% Umsatz mit Maßkonfektion
Erschienen in der Ausgabe vom 7. Dezember 1995 von TextilWirtschaft
Aull: 40% Umsatz mit Maßkonfektion
Das „tapfere Schneiderlein“ aus dem Spessart
sm Frammersbach – Für Matthias Aull von der Maßschneiderei Lisa Aull im unterfränkischen Frammersbach sind klassische Angebotsformen bald „so gut wie passe“. Immer weniger Kunden werden künftig noch in den Handel gehen, um Anzug, Sakko oder Hose von der Stange auszuwählen. Sein Zukunftsrezept: Maßschneidern per Computer plus Homeservice.
„Bereits in wenigen Jahren werden klassische Angebotsformen so gut wie passe sein“, glaubt der gelernte Schneider und Bekleidungstechniker Matthias Aull. „Kaum jemand wird dann noch z.B. in den Handel gehen, um Anzug, Sakko oder Hose von der Stange auszuwählen“ Moderner elektronischer Intelligenz plus persönlichem Service gehöre die Zukunft. Aulls Idee: Er besucht seine vermögende Kundschaft zu Hause oder in deren Firma und nimmt dort Maß.
350 regelmäßige Kunden für die Maßkonfektion
Auf Basis dieser sorgfältig erfaßten Eingabedaten werden in Frammersbach per Computer Schnittmuster konzipiert und Einzelteile zugeschnitten. Rund 350 Kunden aus Politik und Industrie, aber auch Anwälte und Ärzte, hat Aull in seiner Kartei, die bei ihm schneidern lassen und aus seiner Westtuch/Scabal-Stoffauswahl auswählen. Bereits nach zwei bis drei Wochen ist das Unikat fertig. Ein Vorteil, der seiner überwiegend selbständigen und unter Zeitdruck stehenden Klientel entgegenkommt. Die Kunden sind gerne bereit, für ihr Outfit – je nach Stoffqualität und Sonderausstattung – mindestens 1000 DM auf den Tisch zu blättern, Preisgrenzen sind nach oben offen. Sein Sortiment rundet Aull mit edlen Schuhen und Krawatten ab. Bei seinem Werbeauftritt setzt Aull neben der Mundpropaganda ganz auf die neuen Medien wie Btx und seit neuestem auch auf das Internet. „Direkt-Mailings sind einfach zu altbacken und nicht mehr zeitgemäß.“ Surfer auf der Datenautobahn um so mehr.
Maßarbeit bringt rund 680 000 DM Umsatz
Das „tapfere Schneiderlein“ aus dem Spessart (diesen verkaufsfördernden Titel verlieh ihm jüngst das Magazin „Sales Profi“) hat eine Marktlücke entdeckt. Zehn Jahre ist es jetzt her, seit der 35jährige den Betrieb vom Vater übernommen hat. Mittlerweile beschäftigt seine Firma, die auf den Namen seiner Frau Lisa läuft, 15 Mitarbeiter (inklusive Aushilfen), die 1994 einen Umsatz von rund 1,7 Mill. DM erwirtschafteten. Ein Ergebnis, das dieses Jahr aufgrund der schwachen Branchenkonjunktur nicht ganz erreicht wird. Rund 40% des Gesamtumsatzes der Schneiderei geht auf das Konto des Home-Service. Auf seinen Lorbeeren ausruhen kann und möchte sich Aull jedoch nicht. Stets neue Ideen auf Lager zu haben, gehört für ihn zum A und O im Modegeschäft. So soll zum Beispiel demnächst „Ladyline“ starten, eine Maßbekleidung für Damen. Für den kleinen und mittelständischen Handel – auch die Aulls betreiben im Basement der Zentrale in Frammersbach ein 300m² großes Modegeschäft – sieht Matthias Aull allerdings schwarz: „Dem Handel schwimmen über kurz oder lang die Felle davon.“ Viele würden nicht in der Lage sein, sich von der gegenwärtigen Branchenkrise zu erholen. Aull: „Es gibt nur einen Kuchen, und von dem kann nur eine begrenzte Zahl von Betrieben zehren.“ Thema Ladenschluß? Für Aull das Thema schlechthin: „Der Kunde bestellt mich, wann er mich haben will. Gleich ob dies morgens um sechs oder abends um zehn ist.“ Kundennähe und Flexibilität – das sind mit die entscheidenden Faktoren für den Erfolg seines Home-Service.