MAIN-POST. Der Schneider nimmt Maß im Internet

Erschienen in einer Ausgabe von 1997 der Main-Post

Mit inovativer Technik gegen veraltete Moden
Der Schneider nimmt Maß im Internet
FRAMMERSBACH Die Textilindustrie setzt schon lange auf Produktion im großen Stil oder im billigen Ausland. Matthias Aull aus Frammersbach setzt Ideen und Computer dagegen. VON HANS WAGNER

„Die effektive Nutzung der vorhandenen Zeit ist das A und O eines erfolgreichen Geschäftsmannes“, weiß der Schneider aus dem Spessart, Matthias Aull aus Erfahrung. Der 36jährige Bekleidungstechniker wuchs in Frammersbach auf und erlebte noch die Blütezeit der Schneiderei in der Marktgemeinde.

Die Nähe der Schneiderkunst im Aullschen Betrieb sowie die Vielzahl von heimischen Schneider-Betrieben und Kleinschneidereien im Heimartort und der Umgebung ließen Aull auch die Probleme der Textilindustrie in den 70er Jahren hautnah miterleben. Noch als Schüler und später im elterlichen Modehaus und Schneider-Betrieb hatte er den Niedergang der Textilbranche, bedingt durch billige Produktion im Ausland, vor Augen.

Nach Abschluß als Schneidergeselle besuchte er mit Erfolg die Bekleidungs-Technikerschule in Hohenstein, absolvierte seinen Militärdienst und schaute sich danach in er Textilbranche in Mendrisio (Tessin, Schweiz) um. Auf der Technikerschule lernte er seine Frau Lisa kennen, die später den Schneider-Betrieb in Frammersbach übernahm. Dabei war Matthias Aull der Vordenker, seine Frau Lisa die Umsetzerin.

Trotz ausgeklügelter Rationalisierung, wie beispielsweise den für die Größenordnung dieses Betriebes unorthodoxen Einsatz eines CAD-Computers in der Produktion, konnte das Betriebs-Potential nicht ausgelastet werden. Im Wettbewerbsdruck der Großbetriebe und der starken Internationalen Konkurrenz galt es neue Wege zu gehen und mit alten Traditionen – der Kunde kommt ins Haus – zu brechen.

Wie im Grimmschen Märchen vom „tapferen Schneiderlein“ machte sich der Bekleidungstechniker auf, die Riesen zu besiegen. Ziel dabei war, Hand an den Manager in den Chef-Etagen der Wirtschaft zu legen und ihm einen Anzug nach Maß zu verpassen. Vor Ort wird gemessen und anprobiert. Der Kunde kommt in den Genuß, Zeit zu sparen, ohne auf korrekten Sitz der Kleidung verzichten zu müssen.

Für Matthias Aull bedeutet dies den Wandel vom Schneider zum „Verkaufs-Profi“ und – seiner Idee zufolge -, viel unterwegs zu sein. Gute 80 000 Kilometer kommen dabei im Jahr zusammen. Die Rechnung Aulls sowie die von König Kunde geht auf – durchWegfall sämtlicher Zwischenkosten eines stationären Geschäfts. Gut 50 Prozent des Betribsumsatzes, wenngleich nur10 Prozent Kapazitätsauslastung, sind auf die Trendideen des geschäftigen Schneiders zurückzuführen.

Aulls jüngstes Kind – „der Schneider kommt per Internet“ – ist auch für den Normalverbraucher interessant.

Unter der Internet-Adresse http://www.aull.de können sich PC-Besitzer und Internet-Nutzer durch die Themen „Jeans“, „Maßkleidung“ oder „Berufskleidung“ zappen. Besteht Interesse an hochwertiger Maßkleidung kommt Matthias Aull bei Internet-Anforderung zu Hause oder im Büro vorbei, um Maß zu nehmen und bei Auslieferung den richtigen Sitz zu überprüfen. Das ist nach wie vor Hand- und nicht Internet-Arbeit“, unterstreicht Aull.

Bestellungen nimmt der „Internet Schneider“ über T-Online oder Internet entgegen. Außerdem können sich Internet-Surfer auf über 40 Seiten über Modetrends, Stilberatung und Kleiderpflege informieren. Ebenso gewährt die Internet-Show Einblicke ins Innere der Werkstatt und in die Produktionsweise der Firma.

Und damit das Zappen nicht zu Trocken gerät, findet der Surfer zu guter Letzt eine Vielzahl von Informationen Über den Heimatort des Schneiders, die Marktgemeinde Frammersbach – so wirbt Aull für den ganzen Ort mit.