WIRTSCHAFT IN MAINFRANKEN. Anzug just-in-time per Home-Service
Erschienen im Carl Hanser Verlag München 1998 ISBN 3-446-19336-7. Wirtschaft in Mainfranken (07/98)
Anziehendes Outfit via Internet
Einen maßgebenden Dienst am Kunden liefert Matthias Aull. Per Internet wirbt er für seine Maßkonfektionsanzüge. Und seine Kunden können sich auch auf dem Internet-Weg ihre Anzüge bestellen.
Seine Kollektionen und sich selber präsentiert der gelernte Schneider und Bekleidungstechniker aus Frammersbach unter den Online-Adressen http://www.massanzug.de und http://www.aull.de. Die rund 60 Web-Seiten informieren den Kunden über Serviceleistungen, Herstellung sowie Preise für Maßkonfektionsanzüge. Darüber hinaus kommt Matthias Aull selbst ins Bild und berät zu Stil, Stoffen und Farben, gibt Pflegetips und informiert über die Trends, die gerade en vogue sind. Aull zeigt auch seinen Heimatort, den Schneiderbetrieb mit den 15 Mitarbeitern, den inzwischen seine Frau Lisa leitet, seine Arbeitsmethoden mit Zuschnitt per Computer und die Entstehung der Maßkleidung. Das Maßnehmen am Kunden nimmt Aull aber nach wie vor nicht virtuell vor. Dafür besucht er seine bundesweiten Kunden persönlich. Einmal im Computer, kann die Größe jederzeit – im 24-Stunden-Service abgerufen werden. Wer also bereits „vermessen“ wurde und seinen Umfang kennt, kann dann auch direkt Online bestellen. Vorausgesetzt, die Figur des Kunden hat sich gehalten. Die Internet-Präsenz soll die persönliche Kundenbetreuung aber auf keinen Fall verdrängen.
Home-Service bleibt bestehen
Der altbewährte Aullsche Home-Service bleibt bestehen: Seine Kunden besucht Aull nach vorheriger Terminvereinbarung – entweder im Büro oder zu Hause. Es wird Maß genommen, und der Stoff für den Maßanzug, die Hose oder das Jackett ausgewählt. Nach drei Wochen erfolgt dann die Anprobe beim Kunden. Und wenn der Kunde noch den Wunsch nach einem passenden Hemd, Krawatte, Gürtel, Strümpfe oder Schuhe hat, wählt er dies gleich mit aus. Gefertigt werden die Anzüge dann von Ehefrau Lisa in der Schneiderei in Frammersbach. Im Angebot findet sich alles vom Business-Anzug über die Freizeitkombination bis hin zum Frack oder Smoking. Der Preis soll auf dem Niveau vergleichbarer Konfektionsware liegen.
Die Arbeit des Frammersbacher ist wortwörtlich modern: Er verbindet eine uralte Handwerkstradition – die Schneiderei – mit elektronischer Fertigungsintelligenz – dem CAD-Einsatz – und einem Home-Service. Seit Juni 1996 bietet Aull – damals bundesweit einmalig – gehobene Herren-Maßkleidung im Internet an. Heute rechnet sich dieser Vertriebsweg bereits. „Mindestens 35 Prozent meines Umsatzes verdanke ich den Bestellungen meiner Internet-Kunden“, überblickt der 38jährige seine Geschäftslage.
Eine Vielzahl seiner Neukunden gewinnt er dabei über den „virtuellen Laufsteg“. Und das sind vier bis fünf an der Zahl pro Woche. „Von Januar bis März hat’s besonders gekracht!“ meint Aull dazu.
Die Kunden von Matthias Aull sind vor allem Business-Leute und Politiker, die eine neue Garderobe nachfragen und dabei mit einer Ressource spärlich bestückt sind: der Zeit. Für Aull kein Problem. „Viele Leute sind heute nicht bereit, für einen Maßanzug groß rumzufahren. Dafür komme ich ja zu ihnen und erspare ihnen jegliche Unannehmlichkeiten.
„Sein Auto mit Schnitten und exquisiten englischen, italienischen und belgischen Stoffen beladen, quer durch die Republik reisend, legt Aull jährlich alleine 70.000 Kilometer zurück. Und das zum Wohle seiner Kundschaft. „Man braucht die Kilometer nicht zu scheuen. Wenn ich tausend Kilometer pro Tag zurücklege, muß ich morgens schon mal gegen vier oder fünf Uhr aufstehen“, meint er. Seine Kunden, rund 400 an der Zahl, kommen vorrangig aus dem süddeutschen Raum.
Doch ebenso hat er auch Stammkunden, in Frankfurt, Dortmund oder in Berlin. Selbst aus der Schweiz, Österreich und den USA klopfen schon modebewußte Manager über den Datenhighway an. Altersmäßig habe sich die Kundschaft verjüngt. „Viele wohlhabende Leute zwischen 40 und 45 Jahre haben wir jetzt, bedingt dadurch, daß die Alterspyramide umgekippt ist“, beschreibt Aull seine Kunden.
Guter Schachzug
„Einen guten Schachzug habe ich mit der Internet-Adresse www.massanzug.de gemacht“, freut sich der Frammersbacher. Und wie sehen die Pläne aus? Den Vertriebsweg Internet will er ausbauen. „Der nächste Schritt wird ein Internet-Katalog sein, über den ich zehn Prozent meiner Stoffe anbieten möchte“, blickt er in die Zukunft. Problematisch sei hier allerdings, die Stoffe zu digitalisieren. Denn die Farbechtheit ließe da noch zu wünschen übrig. Zuversichtlich ist Aull aber, daß sich in ein bis zwei Jahren einiges tun werde, so daß man auch ein Karo oder die Struktur des Stoffes auf dem Bildschirm richtig erkennen könne.
Und sein Motto?
„Man muß dem Kunden die Wünsche von den Augen ablesen und sehr kulant sein.“
von Claudia Heinzmann