RUNDSCHAU. Call your personal suit

Erschienen in der Ausgabe 03/96 der RUNDSCHAU Fachzeitschrift für internationale Herrenmode und Schnittechnik

Bei Anruf Maß
So hat sich der 35jährige Bekleidungstechniker Matthias Aull seine Karriere wohl kaum vorgestellt: In Hamburg, Berlin , Düsselldorf oder München besucht er persönlich die Manager in ihren Büros und nimmt Maß für den individuellen Anzug.

Kleider machen Leute
In der Tat klingt die Geschichte des Schneidersohnes aus Frammersbach im Spessart wie die moderne Fassung „vom tapferen Schneiderlein“. Matthias Aull ist gelernter Herrenschneider und auf dem besten Wege, das verstaubte Image seines Berufsstandes gewaltig aufzumöbeln. „Kleider machen Leute, besonders in der Geschäftswelt. Aber gerade diese Menschen haben weder Zeit noch Muße für einen Einkaufsbummel“, so seine Erfahrung. Also drehte er den Spieß einfach um und begann, seine Kunden zu Hause oder im Büro zu besuchen.

Und wie sieht das in der Praxis aus? Er reist mit Konfektionsanzügen in allen Größen zum Kunden, läßt diesen anprobieren und notiert dann die entsprechenden Änderungen in sein speziell entwickeltes Formularblatt. Jede Abweichung von der Konfektion ist kodiert und wird in Frammersbach in die CAD-Anlage eingegeben. Interessant ist auch die Auswahl der Stoffe. Aull bietet hochwertige italienische oder englische Ware an und berät nach Farbtyp.

Call your personal suit
450 Stammkunden stehen in seiner Kartei. Noch lasten Aulls Spezial. Anfertigungen für Manager die Kapazität seines Betriebes nur zu zehn Prozent aus, aber sie bringen 50 Prozent des Umsatzes mit steigender Tendenz. Denn Aulls Maßanzüge auf Abruf (Slogan „Call your personal suit“) sprechen sich in den Manager-Etagen durch Mund-zu-Mund.Propaganda schnell herum.

80 000 Kilometer pro Jahr
Und so tourt denn Matthias Aull rund 80 000 Kilometer pro Jahr durch die Lande. Er nimmt persönlich die Anprobe des fertigen Maß-Anzugs vor. Er will sich selbst davon überzeugen, daß der Sitz stimmt, die Qualität gefällt und der Kunde zufrieden ist.

Optimierung durch CAD
Einmal im Computer, kann die Größe jedes Kunden jederzeit abgerufen werden. Dies beschleunigt das Anfertigen des Maßanzugs beträchtlich. Die Entscheidung, die für den kleinen Betrieb gewaltige Investition vorzunehmen, fällte er beim Besuch einer branchenfremden (!) Messe. Für Bekleidungsbetriebe dieser Größenordnung ist der CAD-Einsatz noch absolut unüblich. Querdenker Aull kümmerte sich nicht darum und erkannte die Chancen für seine Maß-Produktion. Der Computer schneidet zu und 15 Mitarbeiter helfen bei der Herstellung.

Aull, der seinen Service in ganz Deutschland anbietet, vereinbart Termine von 7 Uhr morgens bis 20 Uhr abends, ganz wie der Kunde es wünscht. Denn nur mit absoluter Kundenorientierung kann er dem selbstgesteckten Ziel näherrücken, sein Kundennetz noch dichter zu spinnen. (Wi)

Kurzporträt
Geboren 1960 in Frammersbach.
Schneiderlehre im elterlichen Betrieb, Bekleidungstechnikerschule in Hohenstein, Militär, Auslandsaufenthalt in Mendrisio (Tessin, Schweiz).
1982 Heirat mit Lisa Aull. Übernahme des elterlichen Produktionsbetriebes durch seine Frau Lisa, Rationalisierungsmaßnahmen und Investition in einen CAD-Computer.
1989 gezielte Erweiterung des Kundenstammes über Maß-Anzüge für Messepersonal und Vereine.
1992 Start des Verkaufs von Maß-Anzügen für Manager.